erst abbrausen
erst abbrausen

erst abbrausen

Stadtbäder und Badeanstalten sind noch keine hundert Jahre alt. Sie verschwinden aber langsam aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit. Versteckt in Straßenzügen findet man sie, so wie Kirchen und Schulen in die Straßenfassade eingebaut wurden. Eine kleine Treppe, die Inschrift über der Tür, ein Wappen. Viel mehr ist von außen nicht zu sehen. Hinter der Tür dann das meist Unbekannte. Das Foyer mit Kassenhäuschen. Eine kleine Luke. Von hier aus ging es dann in das Wannenbad, das Männer- oder Frauenschwimmbecken oder in die Sauna. Natürlich gab es Abweichungen und verschieden Baustile. Ein gemeinsames Schwimmbecken, die Umkleiden auf der Galerie, die Sauna im Keller oder auf dem Dach. Die Städte ließen sich ihre Bäder schon einiges kosten. Sie waren die Hamane der Gründerzeit.

Ich selbst habe in so einem alten Stadtbad in Berlin schwimmen gelernt. Ich kenne diesen Geruch noch genau.. Es war nicht nur Chlor. Es war damals schon der Geruch des Alterns. Eine andere Zeit. Die kleinen Umkleidekabinen, die Duschen mit den groben Armaturen, das milchige Oberlicht, der alte Bademeister. Damals waren das alles Dinge, die schon abgenutzt, gebraucht, einfach alt waren. Ich sah damals nicht die Spuren von Generationen, die vor mir hier schwimmen gelernt, sich trainiert oder nur gebadet haben.

Als ich dann nach Jahren wieder in meinem alten Stadtbad stand, war dies schon geschlossen. Ich sah die alten Dinge wieder. Die Erinnerungen kamen durch diese Staubschicht. Jetzt interessierten mich genau die damals so geschmähten alten Dinge. Sie bargen ja nicht nur meine Geschichten. Ich fand einige und begann diese aufzuschreiben.

Die Inszenierung der Geschichten gestaltete sich dann schon etwas schwieriger. Die alten Stadtbäder sind nicht nur von außen fest verschlossen. Ich fand dennoch ein offenes Ohr mit dem rechten Schlüssel und hatte ein Wochenende ein ganzes Schwimmbad für mich. Erst war ich alleine dort, ging durch den Heizungskeller, die Schwimmhalle, die Sauna, das Wannenbad. Am Samstag und Sonntag konnte ich dann fotografieren. Die Darsteller (noch einmal vielen Dank) hatten viel Geduld. So war es einerseits im November schon recht kalt in einem unbeheizten Stadtbad und recht dunkel ohne Strom. Zwischen den Aufnahmen musste sich warm angezogen werden, damit man dann bei den Belichtungszeiten bis zu 30 Sekunden nicht wackelte.

An dem Wochenende sind fünf kleine Geschichten entstanden, die sich um ein altes Stadtbad ranken:

Der alte Heizer ist nach der Schließung im Keller geblieben und hält das Bad weiter warm, falls es doch wieder in Betrieb genommen werden soll. Einmal im Jahr kommen seine früheren Kollegen wieder zurück. Sie nehmen ihre alten Plätze wieder ein und warten auf Gäste. Das Bad füllt sich mit ihren Erinnerungen, rätselhafte Ereignisse nehmen ihren Lauf.

Nach einem nicht gerade herzlichen Empfang am Einlass, ereilt einen Badegast im Bassin ein ungeklärtes Schicksal. Sein Ableben animiert zwei Kaffeetanten zu Rollstuhlrennen. Währenddessen werden mit freundlichem Lächeln die Spuren des Zwischenfalls beseitigt. Einstweilen träumt der Heizer von vergangenen Sommern und ein Herr findet im Wannenbad seinen Frieden.

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Ausstellungen:
Duncker 15 (Berlin)
13.01. – 15.02.2006

Fotoschule am Schiffbauer Damm (Berlin)
03.04. – 01.05.2004 – „Bilder eines Jahres“

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Zeit und Ort:
November 2005
Altes Stadtbad der Stadt Brandenburg an der Havel

Danksagung:
Darsteller: André van Uehm, Antje Jessa, Roland Brinkmann, Susanne Wagner, Willi Förster
Assistenz: Carola Thielecke, Tobias Seibt

Ausstellungsdaten:
40 C-Print 30×40 gerahmt
benötigte Wandlänge: ca 40-50m


Der Badegast